Es sind die Menschen – nicht die Bugs.

Einer der für uns spannendsten Vorträge der Hamburg Open lief unter dem Titel: “Es sind die Menschen – nicht die Bugs” von Brigitta Nickelsen , die auf dem Fachbereich technische Innovation bereits eine große Expertise hatte und diese sie dann zu ihrer neuen Berufung brachte, als Führungs-Lotsin. 

Alles begann mit dem Radio Bremen Neubau in Diepenau 2003 bis 2007 – dieses Projekt leitete die damalige Journalistin, es war ihr erstes Projekt und es war auch alles andere als unambitioniert: 
Ein kompletter Neubau, von 33.000 Quadratmetern auf 17.000 Quadratmeter verkleinern. Das erste Haus der ARD, welches sich voll digital transformiert und das direkt über alle Ausspielwege, im Rahmen des Neubaus. Nickelsen war damals in der Rolle der Projektleiterin, aber ohne davor als Ingenieurin, Betriebswirtin oder Projektleiterin gearbeitet zu haben. “Neues Haus, neue Technologien und neue Strukturen – mehr Change geht nicht”, so Nickelsen. 

Es wurde von vornherein versucht, mit sehr viel Kommunikation, ausführlichen Berichten, erläutern und erklären, den ganzen Sender mitzunehmen und auf den Change vorzubereiten. “Und trotzdem haben wir in diesen ganzen sechs Jahren unfassbar viel Skepsis erfahren, und das war noch freundlich ausgedrückt.” Laut ihrer Aussage haben zehn Prozent gesagt: “Chaka!” und dann gab es einen großen Teil, welcher eher lethargisch reagierte: Hauptsache es geht irgendwie für mich nachher noch weiter. Und dann waren da noch sehr viele Skeptiker und viel Widerstand. Und das zog sich nicht nur bis nach dem Einzug, sondern noch sehr lange darüber hinaus. “Die Software, die Redaktionssoftware oder die Planungssoftware, mit der wir aus gutem Grund damals neu gestartet haben.  Da hieß es lange noch, also bei jeder Veränderung und jedem Bug – Wir wussten doch gleich, dass das nicht gut ist oder funktioniert.” 
Die Transformation hat auch bei Radio Bremen nach dem Projekt auch nie aufgehört, aber rückblickend attestiert sie sich: “Konflikt war sechs Jahre lang mein Hobby.”  

Deshalb entschied sie sich nach dem Projekt, genauer zu studieren, was da eigentlich passiert ist. Wie lief das ab? Was hätte man anders machen können? Sie nahm das interessierte Publikum mit auf eine kleine Reise in den Bereich der lösungsorientierten Kommunikationspsychologie, der Organisationssoziologie und auch ein bisschen der Neurologie. Das ganze heruntergebrochen auf drei Schemata – bewusst auf drei Flipcharts präsentiert.

Hamburg Open 2023 - Die Apfelperspektive

Es kommt auf die Perspektive an!

Die erste Grundlage für eine bessere Zusammenarbeit ist das Verständnis für Perspektiven – Nickelsens Beispiel war hierbei ihr Perspektivenapfel: “An apple a day keeps the doctor away – ich bin um Ihr Wohlbefinden sehr bedacht.” 

Der Apfel hat drei Seiten und jede Seite sieht die jeweilig anderen nicht. Die eine Seite ist saftig rot, die zweite ist bereits angebissen und die dritte hat den Wurm drin. Als Projektleiter:in möchte man diesen leckeren Apfel natürlich an jeden im Team verkaufen. Doch die eine Seite sieht immer nur den Wurm darin, egal wie energisch ich ihn anpreise. Diese Situation machte sie im Spiel mit dem Publikum nochmal deutlicher. 
Um ein Projekt erfolgreicher zu gestalten, muss man auch holistisch sein und die anderen Perspektiven einnehmen. Umso den “Wurm” an der Sache besser verstehen zu können und vielleicht den Ausweg daraus zu finden. “Die Leute werden sich erst anfangen zu bewegen, wenn ich anfange, aus meiner “Das ist der tollste Apfel der Welt” Ecke herauszugehen. Ich finde es blöd, dass sie meinen Apfel nicht essen wollen. Mich würde sehr interessieren, warum sie ihn nicht essen wollen und warum sie so maulen?” Diesen Schritt zurück, den Perspektivwechsel beschreibt sie als wichtigstes Grundprinzip. 

“Ah, mein Gegenüber sieht den Wurm in der Sache “ – was passiert denn dann auf der Kommunikationsebene? Man beginnt fast automatisch mit einer ganz anderen Kommunikation, auf Augenhöhe und empathischer. 

Mehr als nur eine Perspektive und mehr als nur ein Empfänger

“Auch wenn wir oft von niedriger Hierarchie sprechen, arbeiten wir meist in Organisationen mit Organigrammen und mit Kästchen, die eine Zuständigkeit haben.” Sie führt durch ein exemplarisches Organigramm. “Ich habe hier ein Kästchen, da ist Verwaltung. Das Kästchen hier ist Hörfunk. Das Kästchen hier ist Bewegtbild.” Alle Bereiche sind Teil eines Unternehmens, welches ein gemeinsames Ziel hat, dennoch kann jedes Kästchen eine komplett unterschiedliche Perspektive auf das gleiche Thema haben. Dieses Beispiel umschreibt die Problematik der Organisationssoziologie. 

Das Phänomen nennt man die sogenannten lokalen Rationalitäten. “Wenn sie in eine Organisation hinein gehen, treffen sie pro Team oder Abteilung auf lokale Rationalitäten, unabhängig davon, ob der Auftraggeber oder die Geschäftsleitung das ihnen auch schon kommuniziert hat.” Ein weiteres Beispiel verdeutlicht das Problem: ”Vertrieb und Produktion – Der Vertriebler geht los und verkauft so und so viele Systeme, alle Installationen bitte spätestens innerhalb der nächsten sechs Monate. Und Produktion und Projektleitung sagen: Geht’s noch? Dabei sind Sie in der gleichen Firma und wollen gemeinsamen Erfolg, aber das ist gemeint mit lokalen Rationalitäten. “ 

Jeder ist eine eigene Insel

“Jedes einzelne Individuum auf der Welt ist unterschiedlich sozialisiert und das gilt sogar für eineiige Zwillinge, das haben Psychologie und Neurologie erforscht. Selbst wenn für mich irgendwas total klar ist und ich denke: Ihr habt doch auch alle studiert und ihr seid in der gleichen Firma, ihr müsst das doch verstehen.” 

Es ist nicht so, weil jeder auf seiner eigenen Insel sitzt. Das erläutert sie am Sender-Empfänger Prinzip aus der Kommunikationspsychologie. “Ich sende etwas und gehe davon aus, dass Sie es empfangen haben und es umsetzen. Wenn sie das aber nicht machen, sagt man:  „Oh, lieber Sender, da hast du jetzt nicht gut genug kommuniziert oder nicht oft genug, das musst du nochmal senden.” Dieser Prozess ließe sich endlos wiederholen und würde sich von Mal zu Mal im Ton verschärfen. 

Psychologen und Neurologen haben sich zusammengesetzt und die Frage gestellt, was passiert da eigentlich im Gehirn? Warum passiert nichts? In einem kleinen Ratespiel mit dem Publikum findet sich die Antwort: Gerade einmal zehn Prozent der Message kommen überhaupt auf der anderen Insel, dem anderen Gehirn, an und das ist schon der Idealfall. Der Rest kommt entweder gar nicht an, “oder das Gehirn macht sich daraus seine eigene Welt.” 

Das ist normal und passiert permanent im Gehirn. Während das Publikum zuhört, sind Sie parallel immer dabei abzugleichen. “Deswegen funktioniert das Sender-Empfängermodell auch nicht eins zu eins, sondern das Gehirn macht viele andere Sachen daraus. Und das muss ich wissen. Und ich habe unter der Wasseroberfläche meiner Insel auch noch Gefühle, Werte, Annahmen, die übrigens in der Kommunikation hier oben erstmal gar nicht auftauchen.” Sie erklärt, dass wenn man dies als Prinzip verstanden hat, weiß man auch, dass man seine Kommunikation verändern muss. Es reicht nicht zehnmal das Gleiche zu sagen. 

Drei Kreise zur Selbstfindung

«The Golden Circle» ist ein Denkmodell von Simon Sinek und stammt aus dem Marketing. Sinek hat mit seinem TED-Talk zum Golden Circle große Bekanntheit erlangt und das zu Recht. 

Der Kern seiner Theorie ist why, how, what – ins Deutsche übersetzt: Wofür, Wie, Was? 

Bei jedem Projekt wissen alle schnell, WAS wir machen – darüber wird viel gesprochen und jede Insel hat eine Meinung dazu. Funktionieren kann es allerdings nur, wenn wir auch über das WIE sprechen – Wie machen wir es? Um die Leute aber wirklich begeistert zu bekommen und das Projekt zu einem Erfolg werden lassen, brauchen sie das WHY. Wofür – was ist der Purpose? Was ist die Mission?  
Sinek bezieht das auf Marken und deren Erfolg im Marketing, sei es Apple oder große Leader in der Politik – die WHY-Frage hilft, die Mission und die Message greifbarer zu machen. Das WOFÜR muss aber auch bei einem Change Prozess klar definiert sein, um Erfolg haben zu können. 

Wie kann der Change also gelingen?

Diesen drei Prinzipien beschreibt Nieckelsen als ganz grundlegendes Fundament für eine Kommunikation im Changeprozess – auch wenn Sie in dreißig Minuten nur oberflächlich eintauchen konnte. 

Sie hat im Laufe der letzten zehn Jahre, wenn sie in Teamverantwortung war, ihre Art zu führen und leiten sehr stark verändert. Und das hängt laut ihrer Aussage damit zusammen, dass sie ihre Haltung verändert hat. “Haltung entsteht, wenn ihnen die Prinzipien, welche ich vorgestellt hatte, klar und eindrücklich sind. Und Sie das nächste Mal, wenn Sie auf Widerstand stoßen, nicht mehr sagen: Das habe ich aber zum zehnten Mal gesagt, so schwer kann das doch nicht sein.” 

Sondern spätestens beim zweiten Mal darüber nachdenken, welche Perspektive hat er oder sie gerade? Und wo war ich vielleicht nicht klar genug mit dem, wofür das eigentlich gut ist? Und zwar für jedes Individuum. Irgendwas, was wir zum Beispiel neu implementieren in einem Medienhaus, könnte für die Verwaltung einen ganz anderen Benefit haben als für die Bewegtbild Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel. Also muss ich suchen, wo ist das für uns alle gut und wobei ist es auch für diesen Einzelnen auf seiner Insel, mit seiner Perspektive gut? 

Fragen hilft. Das nächste Mal, wenn Sie auf Widerstand kommen, fragen Sie doch einfach mal.   

„Ich höre schon zum zweiten Mal, dass du da ein Nein formulierst, aus meiner Sicht, habe ich den Eindruck, ich hätte das schon sehr gut erklärt – ich möchte jetzt noch mal genauer wissen, was steckt alles hinter deinem Nein.” 

Auf das Fragen folgt natürlich auch das zuhören. Nickelsen erklärt ihre Strategie dabei so: “Hören Sie hin, was Kritiker und Skeptiker sagen und was die Aspekte sind, die Sie vielleicht noch nicht genügend bedacht oder beantwortet haben. Ich hole mir inzwischen den lautesten Kritiker in meine Projektteams, weil, wenn ich ihm zuhöre, dann wird die Qualität auch insgesamt besser.” 

Auf Frage und Antwort folgt dann der Dialog. “Selbst wenn alle auf Ihrer Insel sind, das Ziel ist es, die Insel alle möglichst eng zusammenzubringen. Sie wollen ihre Organisation entwickeln, denn es geht schlimmstenfalls ums Überleben oder nur um eine Vereinfachung der Technologie.” Sie führt den Gedanken noch weiter aus: “Mit Dialog führen meine ich, ich frage, ich höre zu, ich frage nach, ich sage, was meine Position ist, ich frage den anderen, was er jetzt verstanden hat und versuche, herauszufinden, wo wir uns treffen. Dabei geht es nicht um eine basisdemokratische Abstimmung, sondern darum, dass es eine Projektleitung gibt, die die Führung bei dem Thema hat. Aber das Ziel ist es, eine andere Kultur zu schaffen, eine in der Sie den andauernden Change und die andauernden Transformationen bewältigen können, und zwar mit möglichst vielen Menschen gemeinsam.” 

Und dann ist es, die Kultur entsteht durchs Tun. Das ist quasi auch immer mein Lieblingsgedanke am Schluss, weil ich dann häufig in Gesprächen sage, ich weiß auch nicht, wie kann man denn Kultur entwickeln und ich kenne mich damit auch gar nicht so aus. Ich sage – tun Sie es einfach. Ich kann nicht die Kultur aufbauen und sagen – jetzt, ab morgen haben wir eine ganz tolle, coole Kommunikationskultur, und der Change wird besser laufen. Stattdessen schaue ich, dass ich mich mit den Einzelnen darüber beschäftige. Ich sage: probiere es doch einfach. Das nächste Mal, wenn der Widerstand so groß wird, lad doch mal die Leute ein, hör denen erstmal zu, frag noch mal nach. Und werden Sie das immer wieder machen und Ihre Haltung verändern, und vielleicht auch als Projektleiter in eine Organisation, in die Sie reingehen. Wenn Ihnen das gelingt, kreieren Sie eine andere Kultur, und dann sind wir nachher am Ende. Übrigens, bei Führungskultur, kreieren Sie eine andere Kultur, in der das, was Sie vorhaben, was Sie umsetzen wollen, viel, viel besser gelingt. 
 

“Das Quick and Dirty – das, was mir nach Jahren des Beschäftigens und vielen, vielen Erfahrungen wirklich ein Herzensanliegen geworden ist.” Ihren Beitrag schloss sie mit dem Bild der Bremer Stadtmusikanten, ganz nach ihrer Heimat:  “Da waren ja vier Tiere, die waren komplett unterschiedlich, hatten eine unterschiedliche Sprache, ein unterschiedliches Futter, aber allen hatten eins gemein: Keine Zukunft mehr da, wo sie wohnten. Und dann haben die sich zusammengetan und eine gemeinsame Kooperationskultur miteinander entwickelt, letzten Endes ist es ja gut ausgegangen. Sie haben es ja geschafft, die Räuber aus dem Haus zu schmeißen, und lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Das ging aber nur, weil sie ihre gelernte Kultur von dem, was sie eigentlich mitbrachten in ihrer Unterschiedlichkeit, zur Seite gepackt haben und einen gemeinsamen Dialog geschaffen haben.” 

Das Publikum zeigte sich sehr angetan von dem Vortrag und er macht auch wirklich Lust darauf, mehr zu erfahren über richtiges Projektmanagement. 

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